Lockdown-tipps #13: von Katrin de gouges

Katrin arbeitet dort, wo sie auch am liebsten feiert: im Hive und im Klaus. Nachdem ihr jetzt sogar der Bundesrat nahegelegt hat, mal eine Auszeit vom Nachtleben zu nehmen, nutzt sie die Zeit, um ein besserer Mensch zu werden.

Es stimmt: Immerfort sich an endlosen Nächten aufzureiben, ohne Aussicht auf Versöhnung mit der eigenen Rastlosigkeit, zehrt an unseren Körpern und laugt uns alle aus. Es wird Gründe geben, weshalb wir es trotzdem tun. Eine Vielzahl von Soziologinnen, Philosophinnen, Psychologen versucht sich an immer neuen Diagnosen und Erklärungen zum Zustand des modernen Menschen, von der Suche nach dem „intensiven Leben“ (Das intensive Leben – eine moderne Obsession, Tristan Garcia) bis zur Kapitulation eines „erschöpften Selbst“ vor den Herausforderungen eines selbstbestimmten Lebens (La Fatigue d’être soi – dépression et société, Alain Ehrenberg). Das Nachtleben ist durchaus keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, nur seine Gestalt hat sich verändert. Am Ende lässt sich konstatieren: Es ist wohl die Moderne selbst, an der wir leiden. Das Nachtleben ist bloss eine zugespitzte Ausdrucksform dieser Getriebenheit in einer Zeit, in der alles möglich ist, von uns aber auch eingefordert wird, unser Glück selbst zu finden. Diese Suche endet nicht.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die ungewollte Isolation infolge des „Lockdown“ so manchen von uns nun mit ungewohnter Härte mit der eigentlichen Ziellosigkeit des eigenen Daseins konfrontiert. Aber Kopf hoch! Die Optimisten eilen zur Rettung: Nutz doch diese unfreiwillige Auszeit, um neue Lebenskraft zu schöpfen! Wenn die Krise vorüber ist, wirst du sie brauchen – denn alles wird wieder so sein wie zuvor. Die Suche geht weiter.

Was von der Popkultur aktuell zur „self care“-Plattitüde trivialisiert wird, liesse sich auch tiefgründiger auffassen – wie es etwa der Philosoph Michel Foucault mit seinem Konzept der Selbstsorge getan hat. Irgendwo dazwischen sind die nachfolgenden fünf gleichermassen bescheidenen wie bewährten Vorschläge einzuordnen, wie man die vorübergehende Ereignislosigkeit des „Lockdown“ zum Anlass nehmen könnte, um mal wieder mit sich ins Reine zu kommen:


Mach Sport

Unter uns gesagt: Die nachweislichen Effekte von „ab und zu mal ein bisschen joggen“ mögen tatsächlich eher gering sein, wenn man dann andererseits wieder säuft, als gäbe es kein Morgen. Aber das subjektiv veränderte Körpergefühl lässt dich in kürzester Zeit glauben, dass du jetzt ein neuer Mensch bist – und die Effekte dieses Effekts sind nicht zu unterschätzen!

Weil alle Fitnessstudios geschlossen sind, empfiehlt sich für die Zeit des „Lockdown“ beispielsweise ein Freeletics-Abo (www.freeletics.com, ca. 40.- für drei Monate; nicht vergessen, das Abo wieder zu kündigen – am besten direkt nach dem Kauf). Einige Einheiten kommen direkt aus der Hölle, und seit ich mich von dieser App knechten lasse, habe ich zahlreiche neue Fluchwörter erfunden. Aber hinterher fühlt man sich wie ein Champion! Hampelmänner im Wald gehen natürlich auch, aber bitte nur allein (nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil es peinlich ist)!

Ästhetischer Nebeneffekt: Für die Zeit des „Lockdown“ bekommst du vielleicht sogar ein klitzekleines Sixpack. Das aber leider ausser dir niemand zu sehen bekommt. Egal – es geht schliesslich um pure Selbstliebe, nicht wahr!


Hör mal wieder mit dem Rauchen auf

Seit ich vor über 15 Jahren mit dem Rauchen angefangen habe, versuche ich, wieder damit aufzuhören. Ich nutze jede Erkältung, jede Ferienwoche, jeden Fernsehbeitrag über Kehlkopfkrebs für einen neuen Anlauf. Trotzdem: Länger als ein Dreivierteljahr habe ich es bislang nicht geschafft. Spätestens wenn am Wochenende der Alkohol fliesst, zieht die Strömung die guten Vorsätze unverdrossen mit. Der „Lockdown“ ist in dieser Hinsicht auch eine willkommene Gelegenheit: Kein Rum und kein Ingwerer triggern mein Belohnungszentrum. Nimm dies, Zigarettenindustrie!


Koch dir was

Ich könnte mich unter dieser Überschrift in sehr, sehr, wirklich sehr langen Ausführungen darüber ergehen, weshalb ich glaube, dass es zum erwachsenen Leben gehört, sich sein Essen selbst zuzubereiten: Wer essen will, muss Essen machen. Ich bin deshalb gänzlich überzeugt, dass Kochen etwas mit Selbstsorge zu tun hat. Ich werde diese Belehrungen aber für den Moment unterlassen und stattdessen darauf verweisen, dass Selbstkochen in aller Regel auch die gesündere Option ist (ja, es gibt Ausnahmen… etwa wenn du Butter so sehr liebst wie ich). Vor allem aber gilt: Wenn du es selbst gemacht hast, weisst du, was drin ist. Und folglich weisst du auch, was in dir drin ist. Also hopp, Gemüse schnippeln! Ein paar Rezeptideen für Uninspirierte findest du ebenfalls unter dieser Rubrik.


Geh spazieren – allein!

Der Spaziergang ist eine Kulturtechnik, so wie Lesen und Schreiben Kulturtechniken sind. Hä? Doch, klar:

Wusstest du, dass Henry Dunant auf dem Friedhof Sihlfeld begraben ist? Dass im Wald am Uetliberg vereinzelt Menschen in Zelten wohnen? Dass es eine Karte gibt, auf der sämtliche Kunstwerke im öffentlichen Raum in der Stadt Zürich verzeichnet sind (https://bit.ly/39QXqo3)*?

Und wann hast du zuletzt nach oben geschaut, um zu bemerken, welch imposante Fassaden die unterschiedlichen Stadtquartiere prägen? – Dass frische Luft gesund ist, ist eine Binsenweisheit. Ein aufmerksamer Spaziergang eröffnet darüber hinaus aber auch neue Perspektiven auf eine Welt, in der wir uns ansonsten meist achtlos bewegen.

Zudem: Die Natur ist die grösste Trostspenderin, die wir haben. Mit ihrer Vielfalt, ihrer Sanftheit, ihrer Schönheit, aber auch ihrer durchdringenden Kraft vermag sie fast alles zu relativieren; erst recht das eigene, so oft so bedrückende, aber eben auch so bedeutungslose Dasein. Sie macht glücklich und traurig zugleich. Sich in dieser Melancholie zu ergehen, kann eine Befreiung sein. Farne, die bis heute in allen Wäldern wachsen, stehen für mich sinnbildlich für dieses Motiv: Es gibt sie seit vielen hundert Millionen von Jahren. Der Mensch ist dagegen gerade einmal einige hunderttausend Jahre alt. Die Natur ist nicht der Gegensatz der Kultur, sondern ihr Boden. Sie war vor uns da, und sie wird nach uns da sein. Und das ist doch auch irgendwie tröstlich.

Und schliesslich: Grosse Ideen reifen beim Gehen. Das wusste man schon im antiken Griechenland, und es ist denn auch kein Zufall, dass es im Bundeshaus eine Wandelhalle gibt.


Denk über dich nach

Der Spaziergang bringt noch einen weiteren Aspekt mit sich. Man kann das kitschig nennen; der Literatur- und Kunsthistoriker würde wohl romantisch sagen. Nenn es, wie du willst, aber nutze die Zeit, die du mit dir allein verbringst, um über dich nachzudenken. Das gehört nämlich zu den produktiveren Fähigkeiten, die dem Menschen gegeben sind.

Wissen wir eigentlich, was uns wichtig ist, was uns umtreibt, wonach wir streben, was wir fürchten, was wir heimlich begehren? Würde ein Mensch es wagen, uns danach zu fragen: Könnten wir diese Dinge benennen? Falls nicht, so scheint es doch geboten, einen Namen für sie zu finden. In der Stille des Alleinseins und der Relativität einer ausgedehnten Landschaft geht das immer noch am besten.

In der Sprache der Popkultur und mit der gebotenen Selbstironie zusammengefasst: Das Bisschen Lockdown kann uns doch nichts anhaben! Denk positiv! You can do it! Let’s go! Self love! Sei produktiv, nicht destruktiv! Quäl dich! Hör nicht auf mich, hör nur auf dich selbst! Aber kauf mein Buch!

Auf dass wir in einigen Wochen allesamt als neue Menschen zurückkehren – um uns alsbald in alten Mustern wiederzufinden. Tschakka!

* Es gibt dort übrigens noch viele interessante Karten mehr!