LOCKDOWN-TIPPS #28: 5 Bücher von Viktor Giacobbo

Hilary Mantel: Spiegel und Licht

Mit der Hinrichtung der Hauptfigur Thomas Cromwell beginnt der von Fans ungeduldig erwartete dritte Teil von Hilary Mantels Trilogie über den Lordsiegelbewahrer von Henry VIII. Der 1000-seitige historische Wälzer soll aber niemanden abschrecken, denn die reale Lebensgeschichte Cromwells, vom verprügelten Sohn eines Schmieds bis zum mächtigsten Aufsteiger der Tudor-Zeit hat alle deftigen Zutaten: ein König, der wegen seiner vom Papst abgelehnten Scheidung mal kurz die Anglikanische Kirche gründet und sein opportunistischer, aber hochintelligenter Modernisierer des Staates, Thomas Cromwell, inmitten rivalisierender europäischer Monarchien des 16. Jahrhunderts. Mit «The Mirror & the Light» hebt Hilary Mantel das Genre des historischen Romans auf eine neue, sehr spannende Stufe.


Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex

Und weil wir bei Trilogien von Schriftstellerinnen sind (man weiss nie, wie lange künftige Lockdowns dauern werden), hier gleich noch eine. Subutex ist ein ehemaliger Besitzer eines Plattenladens im Paris der Jahre vor den Attentaten im November 2015. Der unfreiwillige Aussteiger quartiert sich zuerst bei all seinen Freunden ein, wird schliesslich obdachlos und mit der Zeit der Guru einer losen Gruppe von Dropouts, Alkoholikern und Pornodarstellern, die sich zu alternativen Raves treffen. Über drei Bände hinweg beschreibt die Französin Virginie Despentes diese Szene, die mit der Popmusikbranche und ihren dubiosen Produzenten lose verknüpft ist und deren Sog man sich kaum entziehen kann. Selten in einem Roman so vielen gescheiterten Existenzen und liebenswerten Arschlöchern begegnet!


Leona Stahlmann: Der Defekt

Die Teenager Mina und Vetko experimentieren, wie Liebe in verschiedener Hinsicht lustvoll schmerzen kann – das beschreibt Leona Stahlmannin ihrem aussergewöhnlichen Debütroman. Den Begriff «Sadomasochismus» mag die Autorin nicht, denn das würde die spezielle Liebens- und Begehrensform der beiden Protagonisten auf eine „deprimierende Technizität“ reduzieren. Ein pornografischer Roman ist das auch nicht – im Gegenteil, habe ich doch kaum in einem modernen, kühnen Buch mehr über Natur und Pflanzenkunde erfahren… Jedenfalls ein aussergewöhnlicher, manchmal schwieriger Roman über eine junge Frau, die ihre sexuelle Identität als Fehler im System, als Defekt, betrachtet.


Trevor Noah: Farbenblind (Born a Crime)

Die im letzten Jahr erschienene Autobiografie des amerikanischen Late-Night-Moderators Trevor Noah ist kein Comedy-Buch, wie man es fälschlicherweise erwarten könnte. Der Südafrikaner Noah, gemäss damaliger Rassengesetze illegaler Sohn eines Schweizers und einer Südafrikanerin, beschreibt seine Jugendzeit in den Armenvierteln von Johannesburg, der Kampf mit den wirren familiären Konstellationen, dem Hunger, den Drogen und vor allem den vielfältigen Absurditäten des Rassismus zwischen Weissen, Schwarzen und «Farbigen». Es ist ausserdem das beste Buch, das ich je über Südafrika und über staatlich-strukturalisierten Rassismus gelesen habe.


Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken

Dieser unglaublich spannende und komplexe Thriller der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen beginnt gleich mit dem ersten Satz: ein Arzt überfährt nachts auf dem Heimweg in der israelischen Wüste einen illegalen Flüchtling aus Eritrea – und begeht Fahrerflucht, nachdem er dessen Tod festgestellt hat. Alles weitere ergibt sich aus diesem fatalen Vorfall und entwickelt sich zu einer mitreissenden Story über Passion und Feigheit, Korruption und Vertuschung – aber auch über Erpressung im Dienst einer guten Sache… Kein Wunder, plant Hollywood eine Verfilmung!